Uta Schiebel
stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie saß an der Haltestelle
Heidelbergerstraße und spielte unbewußt mit ihren Fingern am Reißverschluß ihrer
Jacke herum. Reißverschluß auf- und zumachen, auf und zu und so weiter. Dabei
war ihr Gesicht ganz teilnahmslos, fast tot.
Sie schien nicht nichts um sich herum wahrzunehmen. Warten war nicht ihre
Stärke. Und trotz ihrer Ausdruckslosigkeit und ihrer leeren Augen war sie schön.
Sie war von etwas geheimnisvollem umgeben. Sie war in einer anderen Welt, oder
aus ihr?
Ich setzte mich neben sie. ohne, daß sie es bemerkte. Zumindest reagierte sie
nicht darauf,
schade!
Ich fragte mich was sie wohl gerade dachte, ob sie überhaupt was dachte. Dann
wurde ich abgelenkt. Ich sah, wie die Straßenbahn kam, stand auf und stieg ein.
Dabei bemerkte ich aber, daß ich noch saß. Mir wurde seltsam zumute. Die Bahn
fuhr los.
Nekarstraße, dann seltsamerweise Kasino-, Frankfurter- und Frankfurter
Landstraße, immer weiter. Es gab keine Haltestellen, nur vorbeifliegende
Landschaften, Häuser, Autos, Menschen, Hunde, Felder, Wiesen, Blumen, ein Schloß.
Die Bahn hielt an. Ich stieg aus. Aus meiner Tasche kramte ich einen alten
rostigen Schlüssel, drehte ihn ein paar Mal in meiner Hand und schloß dann auf.
Eine lange dunkle Eingangshalle erstreckte sich vor mir. Langsam ging ich
hindurch.
Jahrhunderte von Geschichte hingen noch in diesem Raum. Am Ende gingen zu beiden
Seiten weite geschwungene Treppen nach oben. Ich stieg die linke hinauf. Oben
war eine große Tür halb offen. Dahinter konnte ich einen Schimmer erkennen.
Vorsichtig näherte ich mich, lugte hindurch.
Hinter der Tür lag ein Saal, über und über in Kerzenschein gehüllt. Die Kerzen
waren überall im Raum verteilt und schwebten förmlich in der Luft.
Plötzlich ging die Tür auf. Ich erschrak. Ich war entdeckt, entblößt worden. Am
anderen Ende vom Saal stand jemand. Er winkte mich herbei. Etwas ging von ihm
aus, was mir meine Angst nahm. Ich konnte sein wie ich bin. Ich brauchte mich
nicht hinter Türen zu verstecken.
Ich war hier willkommen und erwartet. Ich schritt langsam auf ihn zu. Ein heller
Schein umgab ihn. Er sprach:
"Hast du mal 'ne Zigarette?" Ich schreckte hoch.
Ich saß immer noch an der Haltestelle neben dem Mädchen. Sie kramte in ihrer
Tasche, holte eine Zigarettenschachtel hervor und hielt sie dem Jungen hin, der
sie danach gefragt hatte. Die Straßenbahn kam. Ich starrte immer noch
entgeistert das Mädchen an.
Ich war in ihre Phantasie gerutscht. Wie war das möglich?
Sie sah mich an., lächelte, und stieg in die Straßenbahn.,