Paulette Jutta Franke

Meine neue Stadtwahrnehmung


Ich lebe seit Sommer 1984 in Darmstadt. Die ersten Jahre verliefen ganz normal. Ich arbeitete am Botanischen Institut.

Im Herbst 1992 bekam ich auf Grund zuviel genossener Esoterikkurse eine Psychose. Eine Freundin brachte mich besorgt in das Elisabethenstift. Dort wurde ich gleich behalten. Die akute Phase ist kaum zu beschreiben. Ich war insgesamt vier Monate auf der Psychiatrie.

Danach hatte ich noch für ein halbes Jahr Arbeit. Dann lief mein Vertrag aus. Ich hatte plötzlich ein neues Empfinden. Ich war dicker geworden durch die Medikamente. Treue Freunde und Freundinnen hielten zu mir. Ein Jahr lang schlief ich Tag und Nacht.

Und dann sagte mein Arzt, ich solle zu den Tagen der Psychiatrie gehen. Darauf entdeckte ich eine neue Stadt. Eine liebe Frau erklärte mir, was es alles für Einrichtungen für psychisch Kranke in Darmstadt gibt.

Ich ging eine Weile in die Tagesstätte. Eine Kur folgte. Ich wurde arbeitsunfähig geschrieben. Jetzt folgte eine Reha Maßnahme in Asbach. Dort blieb ich ein halbes Jahr. Es stellte sich dabei heraus, daß ich nicht mehr ganztags arbeiten gehen kann. Das Arbeitsamt legte mir eine Erwerbsunfähigkeitsrente nahe. Diese bekam ich dann auch.

In der Reha Maßnahme hatte ich in einer Gärtnerei gearbeitet. Das hat mit Spaß gemacht. Ich fand eine Staudengärtnerei, wo ich auf 325,-Euro Basis arbeiten kann. Das tue ich seit fünf Jahren.

Im Winter gehe ich in das Beschäftigungsprojekt von der Caritas. So habe ich viel Hilfe erfahren. Und mein Leben ist ganz neu geworden. Ich habe viele psychisch kranke kennengelernt und ich weiß, es geht mir noch gut. Ich habe in den zehn Jahren meiner Krankheit nur einen ernsthaften Rückfall gehabt. Und den habe ich Dank meiner Freunde überwunden.

Ich habe diese Stadt neu entdeckt. Ich kann in das Tagescafe von der Caritas gehen. Da finde ich immer jemanden, der sich mit mir unterhält oder eine Runde mit mir spielt.

Und ich habe zum christlichen Glauben endgültig gefunden. Ich habe mich 1995 in der Martinskirche als Erwachsene taufen lassen. Der Glaube gibt mir die Kraft und die Stärke durchzuhalten. Die Martinsgemeinde ist eine große Stütze für mich geworden.

Den Predigten höre ich mit großer Aufmerksamkeit zu. Ich lerne immer mehr über Jesus und das tut mir gut.

Seit einigen Jahren engagiere ich mich ehrenamtlich im Kirchenladen. Dort kann ich die Liebe weitergeben, die ich von so vielen empfangen habe. Als ich noch gesund war, habe ich natürlich von psychisch kranken Menschen gewußt, aber es war mir nicht klar, was es heißt, psychisch krank zu sein. Jetzt da ich es am eigenen Leibe erfahre, weiß ich wie wichtig es ist, daß wir Hilfe von außen bekommen.

Ich mußte mich ja ganz neu orientieren. Ich mußte akzeptieren, daß ich nicht mehr arbeiten kann in dem Umfang wie früher. Ich mußte mir einen ganz neuen Sinn im Leben suchen. Ich mußte akzeptieren, daß ich Tabletten zum Leben brauche. Ich mußte akzeptieren, daß ich jetzt dicker bin. Ich mußte akzeptieren, daß kaum ein Mann mehr sich für mich interessiert. Ich mußte akzeptieren, daß ich keine Kinder mehr bekommen darf.

Es ist ein langer Prozeß, den ich durchlaufen habe, bis ich mich endlich wieder angenommen habe. Und dabei hat mir mein Glaube geholfen. Er hat mir gezeigt, daß auch ich Freude weiterhin erleben darf. Er hat mir gezeigt, daß es einen Sinn macht weiterzuleben.

Psychisch Kranke sind auf eine ganz besondere Art verletzlich. Sie brauchen viel Verständnis. Ich danke all jenen, die mir zuhören und die Verständnis für mich haben. Ich danke all jenen, die zu mir halten und die Zeit für mich haben. Das ist sehr wichtig für mich, das Gefühl, dazuzugehören zum normalen Leben.

Ich drücke meine Gefühle in Gedichten und in Bildern aus. Die Caritas gibt mir den Raum, sie anderen zu zeigen. Mit einer Bilderausstellung und einem Gedichtenachmittag. Auch das ist sehr wichtig für mich, in meinen Gefühlen ernstgenommen zu werden. Hier nun ein Gedicht das mir sehr wichtig ist.

Ich möchte meinen Platz finden auf der Erde
Ich möchte meine Pflicht tun auf der Erde
und mich dabei freuen
Ich möchte zufrieden sein mit meinem Schicksal auf der Erde
und darüber sanft werden
Ich möchte die Feinheiten lernen
Ich möchte die Gelassenheit lernen
Ich möchte genießen

Es zeigt meine großen Sehnsüchte, die in mir sind.
 


Letzte Änderung 30.07.2007
Zurück zur Übersicht