Renate Kindel
Kommt man von Westen zur Mathildenhöhe so muss man leicht bergauf laufen, um das
große Ausstellungsgebäude oben auf der Hügelkuppe zu erreichen. Am Fuße des
Hügels plätschern kleine Wasserfontänen in einem Becken und man kann wählen, ob
man den breiten mit kleinen Steinen gepflasterten Weg direkt bergan nimmt oder
über kleine Treppen einen mit Ruhebänken ausgestatteten Seitenweg hinaufsteigt.
Dieser endet am Fuße des Platanenhains. Zwischen diesem gewundenen Weg mit
seinen Treppen einerseits und dem Richtung Ausstellungshalle führenden breiten
Weg andererseits, liegt eine sanft ansteigende Rasenfläche. Vereinzelt stehen
darauf Bäume und Skulpturen verschiedener Künstler.
Auf halber Höhe des breiten Weges beginnt die Mauer, die den Platanenhain
umfasst.
Der Weg verbreitert sich jetzt zu einem kleinen Platz, der vor dem mit bunten
Blumenrabatten eingefassten Lilienteich liegt.
Direkt dahinter strecken sich zwei fremdartige goldene Kuppeln in den Himmel.
Sie gehören zur Russischen Kappelle, die der Großherzog Ernst Ludwig für seine
russische Frau Alexandra auf russischer Erde bauen ließ. Parallel zum
Lilienteich und der russischen Kappelle liegt auf nördlicher Seite der
Platanenhain. In acht parallelen Reihen stehen majestätische Platanen in Reih
und Glied in dem ebenerdigen Hain. Dazwischen liegen eingestreut verschiedenen
Plastiken des Künstlers Bernhard Hoetgers.
Südlich des Lilienteiches und der Russischen Kappelle befindet sich ein
schrägabfallendes
Rasenstück, das unten begrenzt wird von einem Laubengang mit Steinsäulen.
Direkt neben der Russischen Kappelle steht anmutig der Schwanentempel. Seine
dunklen mit verschlungenen Mustern verzierten Doppelsäulen tragen ein rundes
spitz zulaufendes Dach.
Hinter dem Platanenhain erhebt sich der Hochzeitsturm mit seinen „fünf Fingern“.
Das langgestreckte Ausstellungsgebäude ist mit dem Turm verbunden und thront mit
seiner Jugendstil-Eleganz pompös auf der Hügelkuppe. Neben diesem großen Gebäude
liegt
erst einmal unauffällig das Ernst-Ludwig-Haus, denn es zeigt sich aus dieser
Perspektive nur mit einer Seitenwand. Wendet man sich aber nach Süden und steigt
den Treppenweg neben dem Schwanentempel hinab, so präsentiert sich das
Ernst-Ludwig-Haus von seiner mondänsten Seite. Eine riesige Freitreppe, links
von einem stark abfallenden Rasenstück und rechts von einem Wohnhausgrundstück
umrahmt, führt auf einen überdimensionalen halbrunden Eingang zu, der von den
monströsen Statuen Adam und Eva flankiert ist.
Links neben der großen Treppe am unteren Teil des schrägen Rasenstückes gibt es
einen runden Brunnen, der ebenfalls kreisförmig mit glatten roten
Sandsteinplatten eingefasst ist. Eine halbrunde Mauer aus rauhem, roten Stein
mit Vorsprüngen und glatten Flächen umgrenzt den Brunnen Richtung in Richtung
der Rasenfläche.
Dieser rote Brunnen liegt an einer ruhigen Straße. Sie führt Richtung Osten
bergab, mündet in den Mathildenhöhweg, der steil bergab führt und geradewegs vor
meinem Elternhaus an der Erbacher Straße endet.
Unzählige Erinnerungs-Schnappschüsse schießen mir durch den Kopf, wenn ich an
die Mathildenhöhe denke.
Click.
Zwei kleine Mädchen gehen mit ihrer Mutter auf der Mathildenhöhe spazieren.
Beide haben dieselben gestreiften Kleidchen an. Das große Mädchen rennt durch
den Platanenhain, versteckt sich hinter Bäumen und Skulpturen, das kleinere
Mädchen rennt hinterher, immer in der Hoffnung die große Schwester doch
irgendwann einmal zu erhaschen.
Click.
Die Mutter des kleinen Mädchen sitzt auf der Bank in der Sonne. Die Kleine kniet
an einem
der kleinen Brunnen und spritzt mit dem Wasser den Brunnenrand nass. Schön ist
es, wenn die Wassertropfen in der Sonne funkeln.
Click.
Die Zeit vergeht.
Click.
Zwei größeres und ein kleineres Mädchen dick eingepackt in Anoraks, Stiefel,
Mützen und Handschuhen ziehen zwei Schlitten den Berg hinauf. Oben neben dem
Ernst-Ludwigs-Haus herrscht großes Treiben. Die verschneite steile Rasenfläche
hat viele Kinder mit ihren Schlitten angelockt. Hui, wie schnell sausen sie nach
unten.
Ich traue mich nicht. Zu schnell wird die Fahrt.
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Ich traue mich doch! Zusammen mit meiner Schwester fahre ich fest an sie
geklammert den Hang hinab.
Bald habe ich keine Furcht mehr, nehme selbst meinen Schlitten und stürze mich
damit die
„Todesbahn“ hinunter. Was für ein Vergnügen!
Und wenn man richtig schnell ist, dann saust der Schlitten am unteren Ende der
Bahn über den kleinen Mauerabsatz hinüber und man fliegt ein kleines Stück, bis
man meistens ziemlich unsanft wieder aufsetzt. Die Schlitten ächzen, die Kinder
rufen und freuen sich.
Click.
Am Roten Brunnen sitzen zwei gleichaltrige Mädchen. Sie haben beide ihre
Spielfiguren mitgebracht. Das sind so eine Art Mickey Mäuse aus Plastik, die
aber an Stelle der Kleidung sehr weiches Fell in den poppigsten Farben haben.
Die beiden Freundinnen bauen den Mäusen Wohnungen am Brunnen. Sie spielen mit
ihnen Vater, Mutter und Kinder. Einmal fällt ein Mausekind in den Brunnen und
muss gerettet werden. Ein anderes Mal unternehmen die Mäusefamilien einen
Ausflug in die Berge und klettern an der roten Umgrenzungsmauer des Brunnens
herum.
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Diesmal sind einige Kinder aus der Straße und auch Schulfreundinnen zusammen
gekommen. Wir spielen verstecken um das Ernst-Ludwigs-Haus herum.. Es gibt viele
kleine versteckte Pfade. Das Gebüsch unter Adam am Prunkeingang des
Ernst-Ludwig-Hauses ist besonders dicht. Ich sehe die anderen suchen und werde
doch nicht gesehen. Hilfe, jemand sucht doch tatsächlich hier in meinem Gebüsch
nach einem Versteckten. Na, ja, ich bin schnell an der anderen Seite hinaus
gekrochen und habe mich unten frei geschlagen.
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Ein wunderschöner Ferientag. Meine Freundin und ich laufen oben auf den glatten
Platten des roten Brunnens Runde um Runde mit den Rollschuhen. Irgendwann wird
das langweilig.
Wir denken uns ein Vorführprogramm auf Rollschuhen aus. Doch es ist kein
Zuschauer für uns in Sicht!
Auf Rollschuhen klettern wir die Treppe zum Schwanentempel hinauf. Dort kann man
auch sehr gut Rollschuhe laufen. Ein älterer Herr schlendert langsam den Weg
entlang.
Wir laufen zu ihm und laden ihn herzlich ein, unsere Vorführungen anzusehen. Ja,
wir
Bestürmen ihn regelrecht. Und er tut uns den gefallen und schaut sich unsere
Rollschuhkunststückchen schmunzelnd an. Fast kommen wir uns im Schwanentempel
wie unter einem Zirkuszelt vor. Und wir geben uns große Mühe unsere Vorführungen
gut zu machen und der alte Herr klatscht wohlwollend.
Click.
Die Zeit vergeht.
Click.
Ein Mädchen fährt ein schönes rotes Fahrrad. Ihre ältere Shwester hat auch ein
Fahrrad, natürlich ein größeres. Die meisten anderen Kinder aus unserer Straße
haben auch größere Fahrräder. Wir fahren auf der Mathildenhöhe spazieren. Wenn
sie schnell den Hauptweg auf der Mathildenhöhe hinunter fahren, bin langsamer
und ich muss mich anstrengen, um den Anschluss zu behalten.
Aber machen sie Figuren nachfahren im Platanenhain, dann bin ich mit meinem
kleinen Rad im Vorteil. Dann bin ich stolz, dass ich bei den Großen mitfahren
darf.
Click.
Die Zeit vergeht.
Click.
Ein Teenagermädchen mit langen dunklen Haaren sitzt zusammen mit ihrem Freund
auf dem Rasen rechts neben dem Schwanentempel, gegenüber vom Haus Behrens.
Dieses Haus mit den dunkelgrünen Einfassungen gefällt dem Mädchen von all den
anderen Jugendstilhäusern der Mathildenhöhe am besten. Gemeinschaftlich sitzen
die beiden J
Jugendlichen auf dem Rasen und zeichnen das Haus Behrens ab. Der junge Mann
lässt den Stift großzügig über das Papier gleiten. Das Mädchen setzt immer
wieder ab, versucht jedes Detail des Hauses genau darzustellen. Zum Schluss sind
zwei sehr unterschiedliche
Zeichnungen entstanden. Zufrieden, Hand in Hand schlendern die beiden Teenager
die Wiese hinunter.
Click.
Die Zeit vergeht.
Click.
Eine Familie kommt von Westen zur Mathildenhöhe. Die Erwachsenen laufen den
gepflasterten Hauptweg bergan. Die beiden Jungen toben über Weg und Rasen, und
spielen Fangen. Der Platz vor dem Lilienteich ist öde. Keine schön bepflanzete
Blumenrabatte fasst
den Lilienteich wie früher mehr ein. Die Frau möchte den Kindern die schönen
Kacheln des Wasserbassin zeigen. Sie sind immer noch da und leuchten wunderschön
in ihren Farben.
Aber auch Müll liegt im Lilienteich ohne Wasser. Reste der Bauarbeiter, die hier
gerade arbeiten?
Gemeinsam steigt die Familie die Stufen zum Eingang des Ausstellungsgebäudes
hinauf. Von der Terrasse vor der Ausstellungshalle hat man einen wunderschönen
Blick auf Darmstadt. Dann wird es Zeit Oma und Opa zu besuchen, die immer noch
am Fuße der Mathildenhöhe wohnen. Acht Füße trappeln den Treppenweg neben dem
Roten Brunnen hinab. Als wir am Brunnen vorbeilaufen, höre ich das leise
Plätschern des sprudelnenden Wassers. Adam und Eva beachten uns nicht, sie haben
nur Augen für einander. Als unsere Familie um die Ecke biegt, sehen wir schon
Oma. Sie steht oben am Küchenfenster und winkt uns entgegen. .