Alexandra Bauer

Ich bin wie jeder Mensch: ein Stern,
Geheimes Leuchten, fremd und fern,
Ein Irrlicht in der Nacht,
Ein Irrlicht in der Nacht.
(Andreas von Ady)

Triste Tropen 

27.9.2002, Schallbad Darmstadt


Im Rhythmus mitternächtiger Blicke
Sterben wir unsere eisigen Tode
Von unseren Gesichtern perlt müdetraurig die Zeit
Ascheregen überbordender Tonströme
Whenever I’m alone with you
Whenever I’m alone with me
Als an-archische ist die Besessenheit Verfolgung
Wir brüllen uns ein in Gesichter, auf Tischplattenspiegel
Die Zeit vertreiben und die Einsamkeit
Simultanes Sich-Herausschreien, verschollen im Lärm
Das eiserne Kreuz zwischen Mund und Haaransatz
Stimmfetzen: Südkorea, die Berlinale
Globalisierung und Bioethik
Das Dröhnen jenseits schlägt ein ins Diesseits
Bald wissen wir unsere Wünsche
Die Suche der Subjekte nach Auslöschung
Per chance to dream?
Bis zur Heiserkeit sich brüllen hören
Nach Mitternacht, der Morgen noch weit
Das Heute schon morgen
So entkommt die Gegenwart
Eingetaucht in irres Licht



Blutleer in unseren Herzsärgen schlummernd
Leben in Auflösung als Bewusstseinserweiterung
Meine kognitive Einsamkeit
In Menschenmengen gebadet, ertrunken
Bin niemals Herdentier gewesen
Schallbadstratosphäre, gechlort mit Musik
Herzschlag vom Bass übertönt
Die neue Erhabenheit, jenseits von Eden
Alles oder niemand
Eisensprache, an Gittern emporgezogen
Ausgeufert bis zum Kollaps
Der Schrei nach Sein
Absorbiert vom absurden Theater Welt
Schaubühne mit Larvenbesiedelung
Tanzend, sich windend im Scheinwerferlicht
Der Tonsturm betäubt alle Sehnsucht
Wüstenhaftes Gebrüll, um zu leben, um zu brüllen
Pfützen auf Tischen, die Trübsalteiche
Tränen hinter den Augen, stehende Wasser
Dämme kurz vorm Brechen
Und Einsamkeit
Und Erschöpfung
Und Leere
Vor Männerstimmen, die dunkel den Raum erobern
Allgegenwärtig ein rauchiger Singsang
Auspizien: was schreibst du?
Kein Ort nirgends für die Heimatlosen
In der Welt der Floskeln, der Talkisierung
Klammern sie sich an ihre Gläser und Flaschen
Und trinken und trinken
Schwarz in schwarz, Augen ohne Halt
Ohne Ziel, sich selbst beraubt
Die lichtlose Höhle der Schattenmenschen
Gelähmt starren sie auf ihre Bilder
Auf Eis gelegt die Hände
Tropfenweise verklingender Atem
Zeittotschläger, Jäger des Daseins ohne Gebet
Enfants terribles, Kinder der Nacht
Waisen der Nacht
In den Flüssigkeiten suchen wir uns
Trinkend, redend, wachend
Wo kein Schlaf uns versöhnt
Mit der Geburt, dem Gebilde eisigen Lichts
Wir bleiben in unseren Köpfen gefangen
Schneckenhäuser der Gedanken an Liebe und Auferstehung
Wo bist du gewesen?
Was hast du verloren?



Neues Blatt: gibt es neu?
Zugvögel in der Eiswüste zwischenmenschlicher Einsamkeit
Fern von den Lebenden weilst du
Oder nah?
Nichts mehr wird sich herzen
Nichts mehr wird kommen
Freudloses Dasein in elektronischen Wäldern
In die Nacht geflohen, in Asche getauft
Eine Lebensillusion
Das Ich zerstoben im Tonfeld
Der kommende Tag wird grauenhaft sein
Geronnene Zeit, bittere Stunden, vertrieben, zerlebt
Ausgeatmet zwischen heute und morgen
Gesichter werden zu Masken, zu Fratzen
Grinsen sich durch die Nacht
Vom Nebentisch her eine Welle Gebrüll:
„Alkohol rettet die Gesellschaft“
Zu nah, zuviel, zu lautstark
Des nachts stirbt es sich langsamer
Ermüdung, Verlorenheit, Schmerz
Lass uns das Menschsein spielen
Meine Rolle darin: Ophelia
Zurück zu mir, meinwärts
Nur fort von den Menschen und ihrem Hass
Ihrer Wut, ihren Kämpfen
Can you see what I mean?
Can’t you see what I mean?
Blind-eyed into the night
I’m no longer in the picture.




Nüchtern, nur so es ertragen
Ohne Angst, hinausschauend ins Dunkel
Namlos, wehrlos: die Mitte wird sich zersetzen
Zeitig im Morgengrauen verebbend
Wenn die Sprache zu ihrem Totpunkt treibt
Und Schweigen Einzug hält in die Münder
DU – ICH – WIR
Enteignet, aufgebrochen, zerschrien
Was ist aus uns geworden?
Wie komm ich bloß nachhaus?

Es singet das Meer und es singt was gewesen.

 


Letzte Änderung 30.07.2007
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